Samstag, 22. August 2009

Belüftungszwang

Während des Weiterbildungsseminars, das L. und ich gemeinsam besuchten, meldete sich ein Teilnehmer und bat mich sehr höflich darum, ein Fenster zu öffnen. Er sagte: "Wäre es wohl möglich, dass wir für einen Moment belüften?" Ich bejahte und öffnete das Fenster, woraufhin sich der Mann mit einem Lächeln bedankte. L., die Französin ist, klärte mich anschließend flüsternd darüber auf, dass der Vorgang soeben ein sehr deutscher gewesen sei.  Sie sei der festen Überzeugung, sagte sie, die Deutschen litten unter einer Art "Belüftungszwang". L. sagte, sie habe diese Eigenheit nach ihrer Ankunft in Deutschland vor vielen Jahren mit sehr viel Staunen und einigem Amüsement beobachtet. Sie habe allerdings nach einiger Zeit feststellen müssen, dass der allseitige Wunsch nach Frischluftzufuhr nur in den seltensten Fällen etwas mit einem tatsächlichen Mangel an Frischluft zu zun habe. Es sei ihr, flüsterte sie jetzt noch leiser, in den Sinn gekommen, dass rein körperliche Bedürfnisse nichts mit alledem zu tun hätten. Ich hatte den Anschluss an das Thema des Seminars längst verloren, aber war mehr als gespannt auf L.'s weitergehende Theorie. L. äußerte die Vermutung, dass die von den Deutschen während des Kriegs durchgeführten Vergasungen wohlmöglich mit alledem zu tun hätten. Für einen Moment sah sie mich ernst an, dann lächelte sie. L.'s Bemerkung ging mir nicht mehr aus dem Sinn, und es dauerte nicht lange, bis ich mir wünschte, jemand möge das Fenster schließen, denn in der Zwischenzeit war es empfindlich kühl geworden.