Samstag, 5. September 2009

Die Dinge jenseits der Botschaftsmauer

Als ich mit H. heute über die sogenannten "Sexpartys" in der US-amerikanischen Botschaft in Kabul sprach, sagte er, er fühle sich an "Die Maske des roten Todes" von Edgar Allen Poe erinnert. Er sagte, es seien nicht so sehr die geschmacklosen Ausschweifungen an sich und ihre "pubertäre Schamhaftigkeit bei heruntergelasssenen Hosen", die den Kern seiner Erschütterung ausmachten, sondern vielmehr die Umstände, unter denen sie stattgefunden hätten, die Dinge jenseits der Botschaftsmauer sozusagen, sagte H., und dass er das wohl nicht näher auszuführen brauche. Poes Erzählung kannte ich nicht, also fragte ich H. nach ihrem Inhalt. Nachdem H. die Erzählung in aller Kürze zusammengefasst und ich die Parallelen, so wie H. sie ausgemacht zu haben glaubte, begriffen hatte, sagte H., das einzig bedauerliche an den "Kabuler Sexpartys" sei, dass ihnen Poes tödliche Pointe fehle. H. sagte, er könne zwar die von offizieller Seite verlautbarte Empörung nachvollziehen. Allerdings liege in ihr auch eine gewisse Ironie, angesichts des Tötens und Sterbens, an dem die Empörten nicht wenig Anteil gehabt hätten. Vor diesem Hintergrund seien die verklemmten Botschaftsspiele geradezu harmlos, insbesondere im Hinblick darauf, dass es sich, soviel er wisse, lediglich um Wachpersonal und nicht etwa um ranghohe politische Vertreter gehandelt habe. "Stell dir doch mal vor!", sagte er, lachte und führte seine Fantasie nicht weiter aus. Er wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Ich hatte nicht ein einziges Mal meine Meinung zu alledem geäußert, und wie schon die letzten Male, wenn ich übermäßig zurückhaltend war, winkte H., bestimmt aber nicht unhöflich, ab. Ich sah ihm noch eine Weile dabei zu, wie er die Gläser spülte und war froh, dass wir nicht mehr über diese Sache redeten.